Patriarchale Gewalt an FLINT-Personen und Kindern
Jeden Tag sterben weltweit 137 Frauen , weil sie von einem männlichen Verwandten oder Bekannten umgebracht werden. In der Regel handelt es sich beim Mörder um den Partner oder Ex-Partner. In der Schweiz wird alle zwei Wochen eine Frau* ermordet und jede Woche überlebt eine Frau* einen Mordversuch. Diese Morde sind keine Einzelfälle, sie sind keine Privatsache, sie sind keine Familiendramen, keine Familientragödien und auch keine ‹Morde aus Liebe›, wie es oft genug in Zeitungen steht. Es sind Feminizide. In einem patriarchalen System werden FLINT-Personen (Frauen, Lesben, Inter-, nonbinäre und trans Personen) umgebracht, weil sie FLINT-Personen sind. Meistens ist die Gefahr am grössten, wenn eine Frau* die Beziehung beendet oder nachdem sie die Beziehung beendet hat.
Frauen, die sich beispielsweise von ihrem Partner trennen (möchten), ihn zurückweisen oder mehr verdienen, stellen das Rollenverständnis des Mannes in Frage. Die Frauen werden getötet, weil sich diese Männer nur durch die existierende Geschlechterhierarchie als Männer fühlen können und ihre Identität zerbricht, wenn sich die Frauen* aus dieser Hierarchie herauskämpfen. Männer verlieren in diesem Moment die Macht und um das geht es. Es geht nicht um verzweifelte Liebe oder Eifersucht. Es geht um Macht.
2019 wurden in der Schweiz 19669 Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt registriert, darunter 79 versuchte oder vollendete Tötungsdelikte. Bei 383 Straftaten handelte es sich um sexuelle Handlungen an Kindern. Ein Viertel der Straftaten im häuslichen Kontext betrifft Gewalt zwischen Eltern und Kindern. Wenn nicht direkt, sind Kinder jedoch immer indirekt von häuslicher Gewalt betroffen.
Während des Lockdowns verschärfte sich die Situation zusätzlich. Die Fälle von häuslicher Gewalt gegen FLINT-Personen und Kinder stiegen an und die Massnahmen des Bundes dagegen waren lächerlich. Die extra zusammengestellte Taskforce des Bundes erstellte lediglich ein Plakat, auf dem die Nummer der Polizei sowie die Internetseite der Opferhilfe standen, an die mensch sich richten konnte bei Fällen von häuslicher Gewalt. Dieses Plakat wurde in Apotheken aufgelegt, und die Bevölkerung wurde dazu aufgerufen, es auszudrucken und aufzuhängen. Das ist keine Massnahme. Das ist ein schlechter Witz.
Kinder sind sehr oft direkt betroffen von patriarchaler Gewalt. Sie bekommen nicht nur die innerfamiliäre Gewalt direkt oder indirekt mit und werden psychischem Leid ausgesetzt, sondern werden auch selbst Opfer von Gewalt. Kinder geraten zwischen die Fronten bei Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern. Sie werden als Druckmittel missbraucht und an ihnen wird extreme Gewalt ausgeübt.
In der Schweiz existiert im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern kein Verbot der Körperstrafen an Kindern. Somit verstösst die Schweiz gegen Artikel 19 der UN-Kinderrechtskonvention, der den Schutz vor Misshandlung garantieren soll. Die Schweiz ratifizierte die UN-Kinderrechtskonvention bereits im Jahr 1997 und verpflichtete sich somit, diese umzusetzen. Bis heute gibt es jedoch in der Schweiz noch immer kein Gesetz, das Gewalt in der Kindererziehung verbietet.
Körperliche und psychische Gewalt werden als Erziehungsmethoden anerkannt. Die Terminologie für Gewaltakte an Kindern ist meistens euphemistisch und verharmlosend. Es wird von einem «Klaps auf den Hintern» oder von einer «Backpfeife» gesprochen. Gewaltakte, die strafbar sind, wenn sie an Erwachsenen oder sogar Tieren begangen werden, werden zu «Disziplinierungsmassnahmen», sobald es um Kinder geht. Kinder fallen durch die Maschen des Rechtssystems. Die Folgeschäden, die Gewalt im Kindesalter nach sich zieht, sind immens. Menschen, die in ihrer Kindheit geschlagen wurden, haben ein erhöhtes Risiko für psychische Probleme in ihrem späteren Leben und werden als Erwachsene eher gewalttätig, da sie wenige gewaltlose alternative Strategien kennen, um Konflikte zu lösen oder sich auszudrücken. Deshalb ist es so wichtig, dass Kinder völlig gewaltlos erzogen werden.
Leider hängen auch Gewalt an FLINT und Kindsmord oft zusammen. Am 12. September 2020 wurde ein zwischen 12 und 15-jähriges Mädchen tot in der Wohnung eines 40-jährigen aufgefunden. Es deutet alles darauf hin, dass er sie sexuell ausgebeutet hat. Am 10. Oktober 2020 tötete ein Mann in Rösrath seine Frau und ihr gemeinsames Kleinkind und beging anschliessend Suizid. In Buchs tötete ein Mann am 2. November 2020 seine drei Kinder, nachdem seine Frau sich von ihm trennte.
Diese Fälle sind keine Einzelfälle. Viel mehr stehen sie in einem grösseren Zusammenhang und sind alle Ausdruck einer Gesellschaft, in der patriarchale und sexistische Gewalt tief verankert ist. Sie ist omnipräsent in unserem Alltag und prägt uns seit wir auf die Welt gekommen sind. Verharmlosendes, normalisierendes Verhalten, sexistische Verhaltensmuster und Toleranz gegenüber patriarchaler Gewalt, sind alles Mechanismen, mal offensichtlich mal völlig subtil, die das patriarchale System stützen und reproduzieren. Deshalb ist es so wichtig, dass keine Art von Gewalt- weder physisch noch psychisch – toleriert wird. Denn ein Feminizid oder ein Kindsmord ist nur die Spitze eines riesigen Eisbergs der patriarchalen Gewalt, die in verschiedensten Formen tagtäglich an uns ausgeübt wird.
Deshalb sage ich es noch ein drittes Mal. Es handelt sich nicht um Einzelfälle. Vereinzelung ist das allerletzte, was uns jetzt hilft. Wir müssen geeint sein, uns gemeinsam stark machen für eine Gesellschaft ohne Geschlechtshierarchien und Herrschaftsstrukturen aller Art. Für eine Gesellschaft, die befreit ist von jeglicher Gewalt. Eine Gesellschaft, in der wir keine Angst mehr haben müssen.